Feuilleton vom 19.11.2022

Avatar 2 – The Way of Water
Erinnern sie sich noch an 2009/2010? Damals, als Smartphones noch nicht im Mainstream angekommen waren, wir DVD´s gekauft oder in Videotheken geliehen haben, E-Book-Reader als neumodisches Zeug angesehen waren und Videostreaming zwar existent, aber noch lange nicht von der Allgemeinheit benutzt wurde. Damals, als wir noch naiv und unbedarft keine Ahnung von den zukünftigen Krisen und Katastrophen hatten und als die 3D-Technik kein alter Hut, sondern der heiße Scheiß war.
Das MCU (Marvel Cinematic Universe) war mit gerade mal zwei Filmen vertreten (heute sind es 30!), und die Neuauflage von Star Wars konnte man getrost als Gerüchte abtun.
Ja, das war damals die Zeit, in der sich James Cameron vor 13 Jahren mit Avatar selbst abgelöst hatte, den finanziell erfolgreichsten Film aller Zeiten inszeniert zu haben. Ein Hype war geboren, sowohl in Bezug auf die Zuschauerzahlen und die damit einhergehende Begeisterung für Pandora, als auch wenn es um die 3D-Technnik in den Kinosälen ging.
Doch der Erfolgskurs von 3D hielt nicht lange an und ist heutzutage lediglich als Virtual Reality interessant. Doch nicht nur das: nach der kollektiven Begeisterung folgte recht schnell die Kritik, dass Avatar lediglich Pocahontas in blau sei. Oder eben „Der mit dem Wolf tanzt“ im Weltraum. Wie sollte eigentlich jetzt nach all den Jahren mit einer Fortsetzung an den Erfolg anknüpfen? Kann das nach über einer Dekade noch gelingen?
Können: ja, durchaus, denn es haben auch andere Sequels bewiesen, die zig Jahre nach dem Vorgänger Erfolg verbuchen konnten. Siehe Mad Max Fury Road und erst vor kurzem Top Gun Maverick.
Trotzdem ist das Risiko hoch und James Cameron muss sich mehr denn je beweisen. Er steht in Zugzwang und das in zweierlei Hinsicht. Erstens gilt es, die Kassen zu füllen. Zweitens will das Publikum begeistert werden und das ist heutzutage nicht mehr so leicht wie damals. Dank den hochkarätigen Serien sind wir immerhin sehr hohe Qualität gewohnt und die Zuschauer sind erheblich kritischer als damals, vor allem wenn sich online jeder als Amateur-Kritiker hervorhebt und auf Twitter entweder „Bester Film ever“ oder „größte Scheiße aller Zeiten“ raus haut.
Dann wäre da noch das Marketing-Gebrabbel von neuartigen Technologien, die man noch nie zuvor gesehen hat. Das hatte uns bereits Peter Jackson bei „Der Hobbit“ mit HFR (48 statt 24 Bildern pro Sekunde) versprochen und kaum einer mochte es.
Immerhin hat Mister Cameron ein wenig seiner Glaubwürdigkeit verspielt, als er sein schöngefärbte Marketing-Gesäusel zum letzten Terminater - Dark Fate von sich gab. Der einstige Vater des Terminators hatte versprochen, dass die Reihe zu alter Stärke auflaufen würde (leider nicht unter seiner Regie) und das war eine (ungewollte?) Lüge, denn austauschbarer, mainstreamiger und vorhersehbarer hätte der Film nicht sein können.
Dann aber erinnern wir uns, wie sehr der gleiche Mann uns all die Jahrzehnte begeistern konnte und das mit Themen und Handlungen, die uns sehr wohl bekannt waren. Avatar: Umwelt und Kapitalismus-Kritik, ebenso an der Kolonialisierung, alles unter der Architektur der Heldenreise. Und wie Titanic ausging, wussten wir schon vor dem Film. Spoileralarm: das Schiff ist nicht am Zielhafen angekommen. Und selbst ein auf dem Papier dumm klingender Plot wie „Roboter reist durch die Zeit um Mutter des Helden zu töten“ konnte allein er zu einem Meisterwerk machen.
Hat er noch das Talent und den Biss?
Wer ist dieser James Cameron eigentlich? Einer der amerikanischsten Filmemacher, der das Kino der 80er und 90er extrem geprägt hat. Er gilt als Perfektionist und hat Spezialeffekte gekonnt, ja fast schon perfekt in die Handlung des Filmes integriert, sodass Technik und Dramaturgie stets eine optimale Symbiose eingingen. Er war es auch, der das Vorurteil, dass zweite Teile meistens nicht an den ersten rankommen, entkräftet hat (was Hoffnung auf Avatar 2 macht). Seit dem Jahr 1981 führt er Regie und hat seitdem gerade mal acht Spielfilme inszeniert. Allein mit diesen wenigen Filmen innerhalb von 40 Jahren hat er zwei mal den Rekord bezüglich Einspielergebnis geknackt. Titanic konnte 11 Oscars einheimsen (was zuvor nur Ben Hur und danach Herr der Ringe 3 gelungen ist). Zwischen den ersten Terminator-Filmen hat er Aliens beerbt und noch Abyss inszeniert. Er hat die 3D-Technik revolutioniert und dafür gesorgt, dass tausende von Kinosälen nachgerüstet haben, hunderte von Filmen nachgezogen haben, eine weitere Dimension ins Kinoerlebnis zu implementieren und kurz darauf auch die TV-Branche für ein paar Jahre Fernseher entwickelt hat, die ebenfalls den Stempel „3D“ trugen.
Ohne Cameron wäre Arnold Schwarzenegger (auch zu sehen in Cameron´s True Lies) nicht der Star, der er Jahrzehnte lang war. Und wenn er nicht Regie geführt hat, schrieb er famose Drehbücher wie das zu Strange Days, produzierte Filme wie das Solaris-Remake und ist bekennender Fan der Tiefsee und hat darüber auch Dokumentationen gemacht.
Bis 2009 war der Ruf dieses Mannes makellos. Doch nach Avatar kam die große Pause, gefolgt von Alita Battle Angel (Drehbuch und Produktion) und der letzte Terminator (ebenfalls Drehbuch und Produktion). Spätestens da fragte man sich: was war da denn los? Konnte Alita bei einigen noch Punkten, fiel der sechste Teil der Cyborg-Reihe gnadenlos und zurecht durch.
Viele Kreative haben ihren Zenit. Manche überschreiten ihn und rutschen nach und nach ab, sodass der Schatten ihrer ruhmreichen Vergangenheit immer länger und dunkler wird. Das gilt für Filmemacher ebenso wie Autoren, Musikschaffende oder sonstige Künstler, bis sie nur noch einer von vielen und in der Masse einfach noch „da“ sind. Sowohl Depeche Mode oder Guns n´Roses besitzen nicht mehr die Relevanz wie noch vor einigen Jahren. Das gleiche gilt für Stephen King, dessen Verfilmungen zwar so hoch im Kurs stehen wie schon lange nicht mehr, doch in literarischer Form ist es kein Vergleich mehr zu den 80ern und 90ern. Hat Christopher Nolan nach über 20 Jahren Filmemachen auch seinen Zenit erreicht? Das Gleiche fragt man sich auch bei Star Wars und den unzähligen Marvel-Produktionen, die so viel Zeug raus hauen, dass man irgendwann übersättigt oder müde ist. Die Helden der ersten Reihe sind nicht nur alte Hasen, sondern altes Eisen geworden und haben extrem an Relevanz verloren. Liegt es am Zeitgeist oder an der verschobenen Zielgruppe?
Eine kleine und interne Umfrage im nahen Umkreis könnte zumindest ein Blick durchs Schlüsselloch auf die Antwort sein.
Folgende Frage wurde gestellt: Wer hat den Trailer von Avatar 2 gesehen und freut sich auf den Film? Die Antwort ist wenig schmeichelhaft: die „Alten“ (alle über 35, zu denen auch der Autor dieses Artikels zählt) freuen sich zumindest ein bisschen oder sogar sehr darauf, während die jüngere Zielgruppe eher „Ja, mal gucken“ oder „Avar...was? Das mit den blauen Viechern? Neee!“, sagen.
Machen wir es kurz: Avatar hätte spätestens 2016 rauskommen müssen, als der Hype noch heiß war. Jetzt ist zu viel Zeit vergangen und andere Franchises haben den Platz eingenommen und selbst denen scheint allmählich die Luft auszugehen.
Sollten wir uns also auf den neuen Avatar freuen? Natürlich, denn die Vorfreude sollten wir uns auch heutzutage und mit zunehmender Reife nicht nehmen lassen, genauso wenig wie die Begeisterung, selbst wenn toxische Twitter-User und Pseudo-Experten im Netz jedes Einzelbild schon Sekunden nach Erscheinen des Trailers oder Films auseinander nehmen und haarklein kritisieren.
Doch die Zeit der Naivität ist vorbei. Unser Guck-Verhalten ist nicht mehr dasselbe und unser Anspruch ist es auch nicht. Sollten wir also eher skeptisch sein? Leider heißt es auch hier: Ja. Doch vielleicht ist genau das der Schlüssel, wenn wir die Erwartungen nicht zu hoch setzen und dann positiv überrascht werden und im Kinosaal endlich wieder das großartige Gefühl des Staunens erleben. Hoffen wir das Beste, denn von diesem Film wird viel abhängen, wie es in der Welt der Filme und des Kinos weitergehen wird.
Von Daniel Böckeler