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Feuilleton vom 24.09.2022

Aktualisiert: 10. Feb.


Das Spiel: Elden Ring – Storytelling der anderen Art

Geschichten, die uns nicht auf dem Tablett serviert werden, sondern in denen wir sie uns hart erarbeiten, ausgraben oder ernten müssen.

Besiege das Böse. Rette deine Familie. Entschärfe die Bombe. Finde den Schatz. Gewinne das Herz der Person, die du liebst. Werde bei einem Wettkampf die Nummer eins. Überlebe! Einfache Storys, die ohne viel Erklärung jeder versteht und nachvollziehen kann. Dieses Prinzip einer Handlung, die von Anfang bis Ende zu erfassen ist, existiert seit Jahrhunderten in sämtlichen Medien – egal ob in Romanen, in Filmen oder eben seit ein paar Jahrzehnten auch in Videospielen. Der Held oder die Heldin muss Hürden und Hindernisse überstehen und wichtige Entscheidungen treffen, um ans Ziel zu kommen. Punkt.


So weit, so gut. Doch im unendlich großen Ozean all dieser Geschichten und fiktiven Welten tummeln sich auch Plots und Themen, die es uns nicht so einfach machen und unter ihrer Oberfläche weitaus mehr erzählen. Bei denen gibt es entweder keine einfachen Fragen und dementsprechend keine ebenso einfachen Antworten. Dann denken wir uns: „Hä? Was soll das? Was will uns dieser Film, dieses Buch oder eben dieses Game mitteilen?“


Es gibt Autoren und Künstler, die verlangen mehr von uns ab und liefern uns Storys, die über das einfache Schwarz-weiß-Denken hinaus gehen. Oder wir müssen wie beim Häuten einer Zwiebel Schicht für Schicht selbst erfahren, worum es eigentlich geht. Und hier nimmt uns der Schöpfer dieser Geschichten als Publikum ernst. Dann traut man uns zu, tiefer zu graben und uns mit der Materie zu beschäftigen. Und nein: hierbei geht es mal nicht um den Sinn der Filme von David Lynch, Lars von Trier oder Gaspar Nóe. Heute soll auch nicht analysiert werden, was 2001 uns eigentlich erzählen will und was zwischen den Zeilen von Franz Kafka herauszulesen ist.


Dieses Mal geht es um ein Medium, welches noch immer belächelt wird und selbst in Kreisen von Kunst und Kultur nicht ernst genug genommen wird: Videospiele.


Leider ist dieses Medium selbst nicht ganz unschuldig an dieser Misere. Viel zu oft schlüpfen wir in die stereotype Haut eines durchtrainierten Helden mit militärischem Haarschnitt, der mit Waffe im Anschlag meist gegen schablonenhafte Gegner antritt: Gangster, Terroristen, Soldaten, Monster, Zombies, Aliens und Roboter. So einfach, so … langweilig, da wir dieses Szenario bereits zu oft gesehen haben. Vor allem wenn die Autoren dem ganzen nicht ein Mindestmaß an Tiefe und Substanz hinzufügen. Klar, ein gutes Gameplay, eine tolle Präsentation und eine Grafik auf Höhe der Zeit kitzeln und begeistern die Sinne. Aber bezüglich Geschichten gibt es einfach zu wenige, die ernsthaft im Dschungel der dramaturgischen Kunst konkurrieren können. Zwar existieren einige Meisterwerke, die über den Tellerrand hinausblicken: Silent Hill (2), Soma, What Remains of Edith Finch, die Bioshock-Reihe, The Last of us oder Death Stranding. Das sind nur einige Beispiele, in denen wir als Spieler eine Qualität geboten bekommen haben, die uns im Kopf bleibt und man sogar Dissertationen und Essays darüberschreiben könnte (was auch getan wurde).


Oder man macht es ganz anders und wir als Spieler sind gezwungen, die „Lore“ eigenhändig zu entdecken. Damit nicht genug. Interpretiert werden will der Fund dann ebenfalls noch. Somit landen wir bei der Spieleschmiede From Software, die ein eigenes Subgenre geschaffen hat: Das Souls-like. Um all das zu erklären, würde dies den Rahmen dieses Artikels sprengen, aber um einmal den Kern aufzugreifen: die Entwickler machen es uns schwer, die Geschichte zu greifen und zu verstehen. Man muss sich intensiv mit der Welt befassen und nicht nur etliche Texte lesen, die in der Welt verborgen liegen, sondern zusätzlich zwischen den Zeilen lesen. Einen einfachen Plot gibt es nicht, auch wenn es oberflächlich meist nach „Überlebe und töte alle Gegner“ aussieht. Klar, man kann es sich so leicht machen und niemand ist gezwungen, sich tief in die Historie dieser Spielwelten zu versetzen. Spaß macht das auch so. Doch wenn man sich Mühe gibt und das Auge für all die Details schärft, entdeckt man etwas Magisches und gibt uns das Gefühl, einen versteckten Schatz gehoben zu haben.


Dark Souls, Bloodborne oder Demons Souls. Das sind jene Spiele, mit denen das Studio sich seinen einzigartigen Ruf erarbeitet hat. Doch als man schon glaubte, sie hätten ihren Höhepunkt erreicht, erschien im Februar 2022 das Meisterwerk Elden Ring. Damit wären wir endlich beim Thema.


Videospieler kommen kaum um dieses Spiel herum. Doch auch jene unter uns, die im Allgemeinen mit Games nichts anfangen können, sollten zumindest neugierig sein, warum sich dieses Spiel so von der Masse abhebt.

Auf den ersten Blick sieht es aus wie jedes andere Rollenspiel mit Fantasy-Setting. Man erstellt sich einen Charakter, sieht seine Figur aus der dritten Perspektive und kämpft in Rüstung mit mittelalterlichen Waffen gegen allerlei Getier. Manche klassisch wie Zombies, Ghule, Drachen und finstere Ritter. Dazu gibt es noch fantasievolle Kreaturen, die man so noch nie gesehen hat, und das nicht zu knapp. Was wir in dieser Welt sollen? Was ist unser Ziel? Was ist der Elden-Baum und was will uns die Tafelrunde sagen? So viele kryptische Geheimnisse. So viele Mysterien. Die wenigen Gespräche sind meist nicht ergiebig, da die freundlich gesinnten Figuren eher in Rätseln sprechen. Fast jeder der NPCs (nicht spielbarer Charakter) benutzt Metaphern und hochgestochene Begriffe, um uns in märchenhafter und symbolhafter Art und Weise etwas über die Geschehnisse zu erzählen. Manch einer würde von „Fantasy-Bullshit-Bingo“ sprechen. Was das jetzt im Klartext bedeutet? Da ist der Spieler gefragt. Wer es einfach mag, wer gerne Tacheles redet, hat bei From Software Pech. Oftmals musste auch ich mich fragen: Steckt da wirklich viel Substanz dahinter oder machen die Macher sich einen Spaß daraus, einem das schwülstige High-Fantasy-Geschwätz, um die Ohren zu hauen?


Nein, da steckt Sinn dahinter. Man wird ihn nicht sofort entdecken und herauslesen. Man braucht Zeit, Sitzfleisch und Muse, damit man hinter die teils wunderschönen, oftmals auch abartigen Fassaden blicken kann. Hier funktioniert Storytelling einfach anders. Wir sind dies nur kaum gewohnt. Allein das Design einer Burg, einer ominösen Untergrundwelt oder eines verlassenen Dorfes erzählen uns eine Geschichte. Man muss nur genau hinsehen. Kaum ein Detail oder ein Gegenstand, der zufällig platziert wurde. Kaum eine Person, die ohne Grund am Straßenrand steht (von ein paar Zugeständnissen ans Gameplay mal abgesehen, da man auf der Karte verteilt überall auf Händler trifft).


Ungewohnt ist die Tatsache, dass die Geschichte in Elden Ring eigentlich schon erzählt ist. Wir als Spieler kommen gefühlt zu spät und müssen nun die Puzzleteile dessen, was geschehen ist, aufsammeln. Da kann viel auf der Strecke bleiben. Es gibt viel zu erkunden und zu finden. So vieles wird dabei übersehen. Es ist fast ein Wunder, dass die Entwickler innerhalb von etwa drei bis fünf Jahren solch ein Mammutwerk auf die Beine gestellt haben, welches bereits zu seinem Erscheinen fast fehlerfrei lief.


Es gibt Filme, die muss man öfter sehen, um sie halbwegs zu begreifen. Barton Fink, Mullholland Drive. Donnie Darko. Mister Nobody. Antichrist. Und so viele mehr. Und selbst dann bleibt vieles ein Mysterium. Doch ein Film ist meist in zwei Stunden geschaut. Elden Ring spielt man nicht einfach mal so innerhalb eines Nachmittags durch. Man braucht mindestens vierzig bis sechzig Stunden. Meistens sogar über hundert. Und selbst dann hat man oftmals nicht verstanden, was das alles hier soll. Zugegeben, was das Ende anbelangt: ich weiß bis heute nicht, was ich da eigentlich gemacht habe und warum. Trotzdem war ich gefesselt. Es bleiben Bilder und Szenarien im Kopf. Auf den ersten Blick bekommen wir die typischen Szenarien geboten: Burgen und Schlösser. Sümpfe. Drachen. Zauberer. Doch hinter diesen alteingesessenen Motiven steckt so viel mehr, nur erzählen es uns die Macher nicht aktiv. Kein Silbertablett, das man uns reicht. Bestenfalls liegen die Früchte auf dem Boden und wir müssen sie auflesen. Meistens gilt es aber, tief zu graben.

Von Daniel Böckeler

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